Musik- und Orchesterfreunde Lübeck: Schritt für Schritt zur Professionalität

Schritt für Schritt zur Professionalität

Einzigartige Kooperation: Die Orchester-Akademie in Lübeck. Wer Musikerin oder Musiker in einem Symphonieorchester werden möchte, muss optimal vorbereitet sein. Denn die Konkurrenz ist groß. Die schwierigsten Hürden sind, instrumentale Kern-Passagen aus dem Standardrepertoire bei Probespielen überzeugend darzustellen, und soziale Kompetenz, nämlich sich in einem Ensemble kollegial einzufügen. Studierende so zu fördern, dass sie beide Fähigkeiten bei Bewerbungen souverän anwenden können, ist das Ziel der vor kurzem begonnenen, in Deutschland bisher einzigartigen Kooperation von Musikhochschule (MHL), Theater (TL) und Philharmonischem Orchester der Hansestadt Lübeck.

Vor Ort ist potenzielles Personal - Studierende an der MHL - zur möglichen Besetzung zukünftiger Vakanzen (nicht nur in Lübeck) da. Warum also in die Ferne blicken? Dass Studierende Praxiserfahrungen brauchen, hatte man schon 2004 erkannt und ein Orchesterstudio zwischen MHL und TL vereinbart. Die neue Orchester-Akademie erweitert und intensiviert seit 2017 diese institutionelle Verbindung in einem Drei-Stufen-Modell, das Studierende, so MHL-Präsident Prof. Rico Gubler, Schritt für Schritt in die Welt der Berufsorchester führen und somit zur Professionalität bringen soll. 

Die erste Stufe ist ein fürs Bachelorniveau bestimmtes punktuelles Praktikum, bei dem Studierende an einem Symphoniekonzert teilnehmen. Bis zu 17 Master-Studierende mit der Spezialisierung Orchesterspiel können in die zweite Stufe aufgenommen werden. Sie leisten bis zu 50 Dienste im Orchester für zwei Konzerte und / oder eine Opernproduktion. Dafür erhalten sie je 50 Euro pro Einsatz. Ganz neu und außergewöhnlich ist in diesem Kontext, dass MHL-Professoren bei den Probespielen anwesend sein und eigene Perspektiven einbringen dürfen, sodass im Dialog mit den Orchestermusikern Modifikationen der Bewertung möglich sind, hebt Prof. Jörg Linowitzki, Beauftragter für die Akademie-Kooperation, hervor. - Plätze für die dritte Stufe, ein Praktikum während einer Programm-Saison der Lübecker Philharmoniker, werden öffentlich auch für externe Bewerbungen ausgeschrieben. Diese Akademisten erhalten einen Vertrag mit dem Orchester sowie 900 Euro pro Person und sind zugleich weiterhin mit der MHL verbunden. Instruktionen über den Musikbetrieb (Tarife, Rechte und Pflichten als Orchestermusiker) während dieser Phase sind inbegriffen.

Betreut werden die Akademisten von Mentoren der Lübecker Philharmoniker. Ehrenamtlich geben sie Einzelunterricht und Tipps, welche Regeln im Orchesteralltag gelten. Ihr Honorar (8.000 Euro pro Person und Jahr) spenden sie der Philharmonischen Gesellschaft, um damit andere musikalische Projekte der Hansestadt zu fördern, erklärt Thomas Biermann, Solo-Flötist und Mitglied des Orchestervorstandes. Er betont, dass die dreistufige Struktur, im Unterschied zu konventionellen Orchester-Akademien, Studierenden ermöglicht, ihrem Ausbildungsstand und ihren Zielen entsprechende Erfahrungen in einem professionellen Orchester zu sammeln. Wegen der besonderen, kaum mit einem anderen Beruf vergleichbaren Situation des Orchestermusikers sei das Angebot einer Akademie im Orchester für die persönliche Entwicklung der Teilnehmer um so bedeutender, ja, für die weitere Karriere unverzichtbar, meint Holger Roese, Schlagzeuger und Akademist der dritten Stufe. Und die Violinistin Caroline Lüer, ebenfalls in der dritten Stufe dabei, ergänzt, dass sie bereits nach den ersten Proben von der Professionalität und Herzlichkeit der Lübecker Philharmoniker begeistert gewesen sei. Insbesondere die Intensität, durch Training Probespiele („eine Visitenkarte bei Bewerbungen“, Prof. Jörg Linowitzki) und die Anforderungen bei aktiver Mitarbeit im Orchester besser bestehen zu können, ist ein wesentlicher Motivationsfaktor zur Steigerung der Ausbildungsqualität. „Mit diesem Angebot entwickelt die MHL den Praxisbezug ihrer Orchesterausbildung systematisch weiter“, sagt Prof. Rico Gubler.

Um die jährlich ca. 120 bis 150 frei werdenden Planstellen bewerben sich jeweils rund 20 bei den kleineren und etwa 300 Interessenten bei den größeren der 129 Berufsorchester in Deutschland. Bei den Lübecker Philharmonikern sind es je nach Instrument rund 60 bis 100 junge Musikerinnen und Musiker von international renommierten Musikhochschulen. Sie sollen nicht nur spieltechnisch versiert und ein umfassendes Repertoire bei Berufsbeginn parat haben, sondern sich auch integrieren können. Solche Qualifikationen kann weder ein Orchester noch eine Musikhochschule alleine vermitteln. Deshalb erhöhe die Kooperation von MHL und TL die Attraktivität der beiden größten Musikinstitutionen der Stadt, meint Andreas Wolf, Kommissarischer Generalmusikdirektor am Theater Lübeck. Dieses von der Possehl-Stiftung finanziell großzügig unterstützte Modell der Orchesterausbildung stelle sicher, auch zukünftig langfristig auf bestens ausgebildete junge Musikerinnen und Musiker zurückgreifen zu können. Insofern wurden jetzt Rahmenbedingungen geschaffen, dank derer die Musikkultur in der Hansestadt konkurrenzfähig bleibt.

Von Hans-Dieter Grünefeld, erschienen in: Das Orchester 03/2018, Seite 39

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